Autoimmunkrankheiten verstehen

Bereits heute leiden ca. 15% der Bevölkerung in Industriestaaten unter Autoimmunerkrankungen. Und die Zahlen steigen weiter. Aufgrund unseres Lebensstils, aufgrund von Umwelteinflüssen und jetzt auch aufgrund der Covid-19 Pandemie.

So viele Menschen stellen sich in meiner Praxis mit einer diagnositizierten Autoimmunerkrankung vor, doch kaum jemand wurde nach der Diagnose über die im Körper ablaufenden Prozesse aufgeklärt. Diese zu kennen und zu verstehen ist aber total relevant, um an der richtigen Stelle mit den passenden Maßnahmen einzugreifen. Denn eine sinnvolle therapeutische Intervention kann eine große Verbesserung der Lebensqualität bewirken.

Deswegen möchte ich in diesem Artikel auf die Mechanismen von Autoimmunerkrankungen eingehen:

  1. Was sind Autoimmunerkrankungen überhaupt?

  2. Wie tragen Umweltfaktoren zu Autoimmunerkrankungen bei?

  3. Wie lange braucht eine Autoimmunkrankheit um auszubrechen?

Der letzte Punkt ist besonders interessant. Autoimmunkrankheiten haben nämlich eine sehr hohe symptomatische Schwelle. Das heißt, dass häufig 10-15 Jahre zwischen dem eigentlichen Trigger und dem Ausbruch einer Autoimmunerkrankung liegen. Also eine ganze Dekade und noch mehr! Während dieser Zeit kann man bereits therapeutisch aktiv werden, wenn man die Anzeichen erkennt und die Ursache ausfindig machen kann.

Was ist eine Autoimmunerkrankung?

Eine Autoimmunerkrankung ist eine Fehlfunktion unseres Immunsystems: Dessen wichtigste Aufgabe ist es, zwischen Selbst und Fremd, zwischen Freund und Feind, zu differenzieren. Wenn das nicht gelingt, bekämpft das Immunsystem den eigenen Körper.

Bei einer Autoimmunerkrankung werden also die eigenen Strukturen als "fremd" verkannt. Das führt zu einer Immunantwort in Form eines Angriffs gegen körpereigenes Gewebe. Jede Erkrankung die aus dieser fälschlichen Immunreaktion erwächst wird als Autoimmunerkrankung bezeichnet.

Derzeit sind rund 80 Autoimmunerkrankungen bekannt. Nach und nach wächst das Verständnis für die Zusammenhänge und wir beginnen zu verstehen, dass viele lang bekannte, vermeintlich nicht autoimmune Erkrankungen auch eine Autoimmunkomponente besitzen: Manche Arten des Reizdarmsyndroms zum Beispiel. Aber auch bei neurodegenerativen Erkrankungen, wie Parkinson und Alzheimer kommen nach und nach autoimmune Prozesse als Ursache ans Licht.

Stadien einer Autoimmunerkrankung

Wie eingangs erwähnt liegen oft viele Jahre zwischen der ursächlichen Störung und dem Ausbruch der Erkrankung. Vereinfacht lässt sich dieser Prozess in 3 Stadien unterteilen:

  1. Stille Autoimmunerkrankung.

    Zu diesem Zeitpunkt produziert das Immunsystem bereits Antikörper, aber der Mensch hat noch keine Symptome. Typischerweise treten jetzt leichte Zeichen entzündlicher Prozesse aus, die sich nicht richtig zuordnen lassen und oft auch kaum auffallen oder nicht ernst genommen werden. Aber sie können ein Hinweis darauf sein, dass ein Autoimmunvorgang im Hintergrund läuft. Chronische Verdauungsprobleme, Brain Fog, Gelenkschmerzen, Hautausschlag ... das sind die häufigsten ersten Anzeichen.

  2. Autoimmune Reaktivität.

    Zu den erhöhten Antikörpern kommen nun etwas deutlichere Symptome, da die Angriffslust des Immunsystems gesteigert ist. Es kommt zu Entzündungen, doch noch ist das angegriffene Gewebe nicht zerstört. Aber PatientInnen nehmen zu diesem Zeitpunkt meist wahr, dass etwas nicht stimmt. Leider sind die Symptome noch immer unspezifisch, so dass diese vielleicht zeitweise gelindert werden können, die Ursache aber unentdeckt bleibt.

  3. Autoimmunerkrankung.

    Das angegriffene Gewebe wird zerstört und erleidet einen Funktionsverlust. Das führt zu eindeutigeren Symptomen. Leider werden die meisten Autoimmunerkrankungen erst in diesem Stadium diagnostiziert.

Genetik und Autoimmunerkrankungen

Früher ging man davon aus, dass die Gene die größte Rolle bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen spielen. Doch bereits seit fast 20 Jahren wissen wir, dass die Umwelt der wichtigere Faktor ist: Es ist stimmt zwar, dass bestimmte genetische Voraussetzungen ein krank werden erleichtern. Doch der Hebel, der das entsprechende Gen anschaltet kommt aus der Umwelt.

Die Umwelt und das Immunsystem

Der Zusammenhang zwischen Umweltgiften und Autoimmunerkrankungen wurde bereits in diversen Studien aufgezeigt. Umweltgifte sind z.B. Pestizide, Feinstaub, Tabakrauch oder Quecksilber. Erstmal logisch. Die immense Auswirkung dieser Tatsache wird allerdings dann klar, wenn man sich vor Augen führt wie groß "Umwelt" eigentlich ist.

Was heißt eigentlich Umwelt in diesem Kontext?

Die Nahrung, die wir essen. Die Chemikalien, mit denen wir in Berührung kommen, bzw. denen wir ausgesetzt sind. Bakterien, Viren, Hefen, Parasiten, sprich alle Organismen denen wir ausgesetzt sind. Der Stress, den wir Empfinden. Die Luftverschmutzung, die wir einatmen. All das und mehr macht die äußere Umwelt aus. Es gibt außerdem noch interne Umweltfaktoren: Die Bakterien und Hefen, die in uns Leben (das Mikrobiom). Veränderungen in körpereigenen Proteinstrukturen. Botenstoffe, die unser eigenes Immunsystem ausschüttet. Wir haben etwas mehr Einfluss auf die interne Umwelt, da wir zu Teilen selbst entscheiden können, welchen Faktoren wir sie aussetzen. Durch unsere Ernährung, Hautpflege, unser Konsumverhalten usw.

Ich lege in meiner Praxis sehr viel Wert auf die Darmgesundheit, also darauf, was gegessen wird, wie es verdaut wird. Die Zeit die ein Bissen von Mund bis After braucht und alles, was dazwischen passiert. Denn der Verdauungstrakt bildet die größte direkte Schnittstelle zwischen der Umwelt und dem Immunsystem. Positive Veränderungen im Darm & Darmmikrobiom führen zu positiven Veränderungen im gesamten Immunsystem.

Barrieren

Wir besitzen 5 Barrieren, die als Schnittstellen zwischen der Umwelt und uns fungieren:

  • die Haut

  • die Lunge

  • der Darm

  • die Blut-Hirn Schranke

  • das Immunsystem

Diese Barrieren spielen eine besondere Rolle in der Entstehung von Autoimmunerkrankungen und Allergien. Denn hier bezieht das Immunsystem seine Informationen, anhand derer es in Aktion tritt: Wenn eine Barriere aufgrund von Umwelteinflüssen beschädigt ist,  wird das Immunsystem auf diese Schädigung antworten. Ein bisschen wie bei Game of Thrones: Wenn die Wand fällt, hat die Armee dahinter richtig viel zu tun. Um die Gefahr abzuwehren, startet das Immunsystem also eine massive Gegenoffensive in Form einer Entzündung und schickt alles an Munition los, was es aufbringen kann. Eine Beschädigung der Barriere bedeutet also nicht nur eine Verletzung oder eine Gewebsschädigung, sondern sofort auch eine Aktivierung des Immunsystems. Besonders häufig sehe ich das bei PatientInnen mit Leaky Gut: Durch die Beschädigung der Darmwand dringen potentiell schädliche Elemente in den Körper ein und das Immunsystem springt an: Die äußere Umwelt (z.B. etwas, das wir essen oder Stress) reizt die innere Umwelt (unser Mikrobiom, die Schleimhaut, die Darmzellen) und triggert das Immunsystem. So oder so ähnlich beginnt jede Autoimmunerkrankung.

Hat die rheumatoide Arthritis etwas mit dem Darm zu tun? Und Alzheimer?

Was aber, wenn die Autoimmunerkrankung ganz woanders sitzt? Zum Beispiel in den Gelenken, wie bei der rheumatoiden Arthritis? Oder in der Schilddrüse, wie bei Hashimoto? Der Zusammenhang mit einer durchlässigen (Darm-)barriere wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Wenn die Barriere beschädigt ist, bedeutet das, dass nun Umwelttoxine, Bakterien, Hefen und andere Stoffe ins Blut gelangen. In diesem Fall spricht man von einer Endotoxämie, also von Toxinen, die sich nun in unserem Köper befinden. Sind die Toxine im Blut, sind sie schnell überall, da ja unser Blut den gesamten Körper versorgt. Sie können nun also ein Kniegelenk befallen, oder die Herzmuskulatur. Oder das Gehirn: Bei Patienten, die mit Alzheimer gestorben sind fand man 2016 stark erhöhte Toxine (LPS) im Gehirn und konnte so einen direkten Zusammenhang zwischen einer gestörten Darmdurchlässigkeit und Alzheimer nachweisen.

Die Rolle der Ernährung bei Autoimmunerkrankungen

Die modernen Nahrungsmittel unterscheiden sich drastisch von dem, was unsere Großeltern, Urgroßeltern und vor ihnen unsere Ahnen gegessen haben. Die Produkte wurden verändert, um besser zu schmecken, länger haltbar zu sein, ansprechender auszusehen. Aus diesem Grund sind so viele Nahrungsmittel mit Zusätzen gespickt oder genetisch verändert. Und unser Verdauungssystem steht nun vor der schwierigen Aufgabe, diese unnatürlichen Dinge zu verwerten. Dinge, die nie unser System niemals zuvor gesehen hat, weil sie in der Natur nicht vorkommen. Deswegen spielt die Ernährung bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen eine immense Rolle: Indem wir identifizieren, welche Nahrungsmittel dem attackierten Gewebe in ihrer Proteinstruktur ähneln und diese vermeiden, können wir dabei helfen das Immunsystem zu regulieren.

Infektionen und Autoimmunerkrankungen

Die Covid-19 Pandemie zwingt uns auch, Autoimmunerkrankungen im Zusammenhang mit (viralen) Infektionskrankheiten neu zu beleuchten. Dieser Zusammenhang ist im Kontext des Ebstein-Barr-Virus und des HHV-6 bereits seit den 1980 & 90er Jahren bekannt. Dank Covid-19 ist das Thema heute wieder höchst relevant und wird im Nachgang dieser Pandemie eine wachsende Anzahl von Menschen betreffen.

Das EB-Virus ist u.a. mit Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom, Zöliakie, Hashimoto vergesellschaftet. HHV-6 u.a. mit Alzheimer, dem Sjögren-Syndrom, Systemischem Lupus Erythematodes. Die Vergesellschaftung des SARS-CoV2 Virus zu Autoimmunerkrankungen wie Guillain-Barré, MS und anderen wird weltweit mit Hochdruck untersucht.

Kann ein Virus Multiple Sklerose verursachen? Ein Beispiel:

Alles beginnt mit einer Infektion mit dem jeweiligen Virus. Der Virus aktiviert das Immunsystem, spezifisch die T-Zellen und myeloischen Zellen. Diese Immunzellen können durch die Blut-Hirn-Schranke treten und setzen dann pro-entzündliche Signale frei. Diese pro-entzündlichen Signale befeuern den aktivierten, kampflustigen Teil des Immunsystems. Dieses so aktivierte Immunsystem greift dann - unbeabsichtigt - Nervengewebe an, das Markenzeichen von Multipler Sklerose.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass 10-15 Jahre zwischen einem Ereignis, z.B. einer Infektion und der Erscheinung einer Autoimmunerkrankung vergehen. Und dass in dieser Zeit bereits viel getan werden kann, um die Konsequenzen zu mildern.

Wie kann ich vorbeugen?

Eine gute Möglichkeit ist es, das Blut auf Autoantikörper zu untersuchen. Diese entwickeln sich bereits im 1. Stadium des Prozesses und von der Art der Antikörper hängt auch die therapeutische Intervention ab.

Weiter können wir unseren Lifestyle beeinflussen. Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder, dass Lifestyle-Interventionen sich wahnsinnig positiv auf die Gesundheit auswirken können. Ernährung steht hierbei natürlich an erster Stelle. Denn die Mehrheit an Umwelteinflüssen kommt über das Essen und führt im Verdauungstrakt zu einer Veränderungen der internen Umwelt. Verändere, was und wie Du isst und Du veränderst Dein Immunsystem!

Für mehr und konkretere Informationen schreib' mir gern eine Email .

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Biologisches Alter: Die Top 6 Lifestyle-Interventionen

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5 Schritte zum gesunden Mikrobiom