Ist Snacken vor dem Schlafengehen gesund?
Oder: Warum nächtliches Aufwachen mit Heißhunger nicht unbedingt bedeutet, dass Du spät noch essen solltest.
Im Zusammenhang mit Energie wurde ich kürzlich gefragt, was ich von einem Spätstück halte, also von einem Snack, den man am späten Abend kurz vorm Schlafengehen isst. Das ist ein Thema, dass im Zusammenhang mit mitochondrialer Gesundheit etwas kontrovers diskutiert wird. Ein Lager vertritt die Meinung, dass nächtliches, schwitziges Aufwachen mit Heißhunger darauf hindeute, dass das Gehirn nicht genug Glucose bekomme. Das das Problem also Hypoglykämie, Unterzuckerung sei. Und das die Lösung des Problems einfach sei: Ein Spätstück.
Vorab möchte ich sagen, dass das was ich im Folgenden schreibe auf Typ 1 DiabetikerInnen zutrifft. Eure Situation ist speziell. Bitte stimmt euch stets mit eurem betreuenden ÄrztInnen-Team ab.
Wie funktioniert das mit der Energiegewinnung überhaupt?
Die „Energiewährung“ mit der im Körper gehandelt wird heißt ATP: ATP besteht ja aus Adenin, 3 Phosphatgruppen und Ribose und heißt ausgeschrieben AdenosinTRIphosphat.
Das, was wir essen wird vom Körper in die sog. Makronährstoffe oder Makros Glucose, Fettsäuren oder Aminosäuren aufgespalten - je nachdem was auf dem Teller war. Für die Fragestellung ob Abends essen oder nicht, schauen wir uns den Weg der Glucose näher an:
Was passiert mit Zucker im Körper?
Wenn unsere Zellen Glucose aufgenommen haben, geht ein Teil davon in den Ribosestoffwechsel und ein Teil in den Glucosestoffwechsel. Ribose fungiert als eine Art Energiereserve - sie wird nicht als primäre Energiequelle genutzt, sondern eher zur Regenerierung der Energieversorgung. Das heißt, hier haben wir einen Energiespeicher für Notfälle.
Die ATP Bildung, also die Herstellung der Energie, die im Körper gebraucht wird, erfolgt auf 3 Arten:
1. Phosphorylierung: Hier bindet sich Creatin bindet sich an die freie Phosphatgruppe eines ADPs (AdenosinDIphosphat). Dadurch entsteht wieder ATP. Das ist für den Körper ziemlich „teuer“: Weil der Creatinvorrat pro Zelle gering ist, liefert die Phospholierung nicht viel Energie, aber dafür schnell.
2. Anaerobe Glykolyse: Das ist der Grundstoffwechsel fast aller auf der Erde lebenden Zellen und findet im Cytoplasma, also in der Zelle statt. Die Aufnahme von Glucose in die Zelle ist natürlich die Voraussetzung. Das geht nur durch Transportmembranproteine in der Plasmamembran, die man sich gut wie Türsteher vorstellen kann. Es gibt unterschiedliche Transportmembranproteine (und es lohnt sich, hier weiterzulesen, denn das wird später nochmal wichtig): GLUT1, GLUT2, GLUT3 und GLUT4. GLUT1 haben wir in fast allen Geweben und GLUT1 lässt Glukose ins Gehirn passieren. GLUT2 ist wichtig für spezialisierte Zellen, z.B. Leber, Bauchspeicheldrüse, die Nieren, usw. GLUT3 sind im Gehirn selbst aktiv, also nachdem die Glucose schon die Blut-Hirn-Schranke passiert hat. GLUT4 sind die Türsteher an Skelettmuskeln und im Fettgewebe. Faszinierend ist, dass die GLUT4 Transporter bei niedriger Glucose- und Insulinkonzentration im Blut eingeklappt werden und nicht zur Verfügung stehen. Erst wenn Glukose und Insulin wieder steigen, klappen die GLUT4 wieder aus und beginnen, Glukose aufzunehmen. Das ist ein eingebauter Schutzmechanismus, um die lebenswichtigen Organe zu schützen. Auch die anaerobe Glykolyse ist nicht besonders effizient: Wir bekommen 2 Einheiten ATP pro Glukosemolekül. Aber: In diesem Prozess entsteht PEP (Phophoenolpyruvat) und dessen Energiewert ist ein ATP hoch. Als Endprodukt diese Vorgangs bleibt Pyruvat übrig, das in Laktat umgewandelt bestimmte Gewebe, wie u.a. das Gehirn, mit Energie versorgen kann. (Genau, das Gehirn lebt nicht von Zucker allein).
3. Die aerobe Glykolyse ist ein Meisterstück an Effizienz: Hier erhalten wir 36 Einheiten ATP pro Glucosemolekül. Also viel mehr als auf den anderen Wegen. Dafür dauert die aerobe Glykolyse aber auch länger. Sie läuft über den Citratzyklus. Übrigens können auch Fettsäuren und Aminosäuren als Brennstoff für den Citratzyklus dienen. Das ganze passiert in den Mitochondrien, den Kraftwerken unserer Zellen. Deswegen ist es auch so wichtig, den Mitochrondrien Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, denn wenn sie nicht genutzt werden, sinkt ihre Zahl und die Zellen verlieren die Fähigkeit zur aeroben Glykolyse. Und ohne sie käme es zu einem Energiemangel und einem Verteilungskampf zwischen Immunsystem, Gehirn und metabolischem System.
Es gibt also Mechanismen, die wir entwickelt haben, um auf verschienden Wegen und unter verschiedenen Situationen ATP zu erzeugen.
Energieverteilung im Körper
Die Energieverteilung ist natürlich essentiell und dafür gibt es diverse Mechanismen. Glucose ist der Baustoff, aber der Kreislauf bildet die Basis der Energieversorgung, indem er Sauerstoff und Brennstoff (Glucose, Amino- und Fettsäuren) zu den Zellen transportiert. Und natürlich muss das Gehirn als zentrale Schaltstelle auch immer wissen, wie viel Energie noch da ist. Das macht das Gehirn aber nicht über Glukose sondern andere Systeme und Botenstoffe, wie Leptin und Insulin: Leptin dient als Indikator für die längerfristige Energieversorgung während Insulin das Gehirn kurzfristig über die Energiesituation im Rest des Körpers informiert.
Insulin macht aber natürlich noch mehr: Es sorgt vor allem dafür, dass die im Blut vorhandene Glucose von Muskeln und Fettgewebe aufgenommen wird. Und Organen, deren Glucoseaufnahme insulinunabhängig ist, signalisiert Insulin, dass genug Glukose im Kreislauf ist. Das gerade keine Gluconeogenese (Herstellung von Glucose aus nicht Kohlenhydraten) und das Gehirn kein Hungersignal aussenden muss. Aber auch das wäre von Zeit zu Zeit gar nicht dramatisch, denn wenn es an Glucose mangelt, verlagert sich der Stoffwechsel hin zur Nutzung von Fettsäuren. Dadurch werden Ketonkörper freigesetzt, die eine Energiequelle fürs Gehirn darstellen. Evolutionär betrachtet ist das logisch, denn kurzkettige Kohlenhydrate gab's früher halt kaum.
Genug Physiologie. Warum haben manche Menschen nachts Heißhunger?
Nach kohlenhydratreichen Mahlzeitenden kommt es zu Glucose- und Insulinpeaks im Blut. Die Folge dieser Spitzen ist eine sekundären Neurohypoglykämie, also ein Energiemangel im Gehirn, der das unangenehme Gefühl eines vermeintlichen Glukosemangels (einer Unterzuckerung) auslöst. Dieser empfundene Glucosemangel findet im Gehirn statt.
Zurück zu den GLUT1 Transportern: Über diese kann Glucose insunlinUNabhängig ins Gehirn passieren. Wann immer das Gehirn Energie braucht zieht es Glukose, die über GLUT1 direkt dorthin gelangen. Diese Fähigkeit des Gehirns, sich die Energie zu holen, wird als Brain-Pull bezeichnet. Wenn die Energieversorgung stets konstant bleibt (z.B. 3 Hauptmahlzeiten, 2 Snacks, dann noch ein Spätstück) nimmt die Menge an GLUT1 Tansportern ab. Weniger Schleusen heißt, dass weniger Glucose in derselben Zeit einströmen kann. Aufgrund der geringen Anzahl an GLUT1 Transportern kommt es dann zum Energiemangel im Gehirn, dass dann wieder mehr Nahrung anfordert. Egal, ob du vor 3 Stunden noch zwei große Stücke Kuchengegessen hast. Daraus entsteht die Notwendigkeit einer ständigen Glucosezufuhr ins Blut, damit die wenigen GLUT1 Transporter noch ausreichend Glucose ins Gehirn transportieren können.
Das schützt natürlich das Gehirn vor Energiemangel, ist aber für das Gesamtsystem nicht gesund und wird durch das übermäßige Vorhandensein von schnell verfügbaren Kohlenhydraten noch weiter verstärkt.
Nachts haben wir eigentlich keinen Hunger.
Ein gesunder Brain-Pull ist super wichtig, da er flexibel sein muss. Und braucht deswegen auch Ruhephasen, z.B. nachts. Wenn der Brain-Pull aber nicht gut funktioniert, kann es während des Schlafs zu Hungerattacken kommen: Nachts haben wir eigentlich keinen Hunger, denn unser Gehirn braucht 40% weniger Energie als am Tag. Warum manche Menschen trotzdem mit Hungergefühlen aufwachen, liegt am Orexin, einem Botenstoff, der im Hypothalamus gebildet wird. Er macht wach und aktiv und Appetit. Und außerdem treibt er dazu an, nach Dingen zu suchen, die euphorisierend wirken.
Orexin wird ausgeschüttet, wenn der Hypothalamus im Gehirn zu wenig Glukose misst. Ein Grund dafür kann eben Mangel an GLUT1 Transportern sein.
Spätstück ja oder nein?
Soviel steht fest: Hypoglykämie, also Unterzuckerung führt zum Aufwachen mit Heißhunger. Aber die Ursache ist in den seltensten Fällen damit gehoben MEHR oder HÄUFIGER zu essen. Oft liegt es daran, dass wir sowieso zu viel und zu oft essen. Eine Intervention wäre also mal für ein paar Wochen die Anzahl der Mahlzeiten auf 17 Mahlzeiten pro Woche zu reduzieren und schauen, wie es damit geht. Grundsätzlich ein bisschen auf die Makros zu achten (isst du genug Protein, genug gesunde Fette?). Und sich vielleicht mal die Abendroutine etwas genauer anzuschauen, um die Cortisol und Melatonin Ausschüttung gut einzustellen. Meinen PatientInnen, die sich unsicher sind, oder die etwas mehr über Ihren Stoffwechsel erfahren möchten, empfehle ich außerdem mal, für 2 Wochen einen Glucosemonitor zu tragen. Oder aber bei mir in der Praxis einen Glucosetoleranztest zu machen.
Ein super Buch zu dem Thema Gehirn und Energie ist übrigens: Das egoistische Gehirn von Achim Peters.
Und wer mehr über Cortisol und Melatonin erfahren möchte, dem empfehle ich diese Podcastfolge von Dr. Andrew Huberman.
Die zugrundeliegende Problematik der Insulinresistenz vor einer Weile mal hier beleuchtet.